Ein Lied für drei Stimmen
I
Ich habe Angst
Ich habe Durst
Ich habe Hunger
und auch heute Abend wieder
die Brote der Kinder
– fingerdick
mit Träumen belegt
Zur Nacht bereite ich ihnen
aus Geschichten ein Nest –
Zweig um Zweig, Blatt um Blatt
vom Baum des Glücks
dass sie sanft liegen
Wir haben kein Morgen
Wir haben kein Gestern
Und wenn sich die Strassen von Gaza
meiner Suche nicht erbarmen
auch kein Heute
Wer sieht uns?
Wer hört uns?
Wer vermisst uns
wenn die nächste Welle uns trifft?
Vermisse du uns!
Uns, die dünnen Striche in der Statistik
des anbrechenden Todes
II
Seit Tagen schrubbe ich
schrubbe ich
auf wunden Knien
den Boden und werde es doch
nie wegbekommen
das Blut
aus dem Holz
aus dem Herz
Ich höre sie kommen
Ich sehe sie kommen
auf ihren Motorrädern –
wieder und wieder
bei Tag und bei Nacht
sehe ich sie kommen
höre ich sie kommen
Durch meine Adern
tropft die Trauer
strömt der Schmerz
Das gelobte Land
Das Land, wo Milch und Honig fliessen
Schalom –
das nächste
das fernste
Wort
III
Wer sieht mich?
Wer hört mich?
Wer fragt nach mir
und meinem verkohlten Dorf?
Butscha –
die Bilder, verblasst
die Schreie, verhallt
– aber der Schmerz?
Vergessen gehen –
ein weiterer Tod
der tödlichste
von allen
Vergiss du mich nicht
Jacqueline Keune
Die spirituellen Anregungen des «Paradiesgartens» im November 2023 wurden gepflanzt von Theologin Jacqueline Keune.
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